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Warschaus
Kittel-Oma

Auf dem Restaurant-Logo lächelt sie streng. Güte und Strafe liegen dicht beieinander, droht sie überlegenen Blickes. Die dicken Teigtaschen um ihre Augen müssen von all dem Abgründigen geformt worden sein, das sie hier in Warschaus Zentrum bereits erblicken musste. Unmöglich, ihre Gaststätte nicht zu betreten. Nur nicht den Helden spielen. Immerhin wirbt sie mit traditionell-polnischer Küche. Pariere!

Oberflächenspannung auf dem Begrüßungs-Schnapsglas. Meerettich, Bier, Bratspeck und Sauerkraut nebeln durch den gedrängten, hohen Raum. Beim Umschauen bleibt mein Blick zögernd hängen. Erst flüchtige Neugier, dann starrendes Glotzen.

Auf 11 Uhr steht sie. Die Leibhaftige. Die Kittel-Oma vom Restaurantlogo. Eine überwältigende Körpermasse für Einmeterfuffzig. Entwaffnend. Jede andere Oma dieser Statur würde Adipositas-Mitleid auf sich ziehen. Diese aber ist im kräftigsten Sinne drall und robust. Sie trampelt auf mich zu. Warmherzig rattert sie auf Polnisch, hoffentlich kein Fluch. Sie reicht mir ihre Hand, scheinbar zur Begrüßung, und will offenbar meine Bestellung aufnehmen.

Zusehends hörig, habe ich Mühe, mich vom Griff ihrer knollenförmigen, zerfurchten und mit Schwielen voll eingewachsenem Altdreck versehenen Arbeitshände zu befreien. Ein Hände-, Quatsch: Prankendruck, der von seinem Gegenüber Härte erwartet. Ein Statement gegen Waschlappen, gegen den modernen Mann. Dass sie wegen ihrer kurzen, klobigen, ja widersprüchlichen Muskel-Fett-Arme unweigerlich mit ihrem Brustgebirge in meine Rippen fährt, stärkt nur mein Gewehr-bei-Fuß-Gefühl.

Bemerkenswert: mit Stolz versprüht sie ihre Mutter-und-Köchin-Identität – und scheint sich gleichzeitig  als Galionsfigur eines weltweiten Matriarchats anzubieten. Mittlerweile devot bestelle ich die Schweinshaxe auf einem Sauerkrautbett mit Meerettich und Bierhumpen. Das dürfte Sie zufriedenstellen.

Und würde sie ihr großes Geschäft vom Morgen auftischen, schwöre ich mir, verputzen würd‘ ichs’s und mich dankbar verbeugen. Doch erfüllte die Kittel-Oma alle kulinarischen Enkel-Erwartungen an ihren vom Aussterben bedrohten Typus Frau. Es konnte nicht anders gewesen sein: Sie war am selben Morgen auf ein Ferkel getroffen, steckte es beiläufig ein, für alle Fälle. Quiekte es ihr unterm Kittel mal zu laut, versetzte sie dem Kleinen desinteressierte Hiebe. Dann kam ich, gab keine Widerrede und bestellte gut – entschlossen, ohne Extrawunsch. Dafür machte sie das Beste aus dem kleinen Nutztierleben: eine Kruste.

Nur für mich. So sehr ich’s auch versuche, sie erwiedert partout nicht meinen dankbaren Zwinker-Blick. Gut für sie. Denn all die Demut muss meine Visage regelrecht entstellen. Vermutlich liegen meine Augen in einem glühenden, grinsend-dösigen Schlag-mich-Klops. Neidgeschwängert denke ich an den kleinen Stinker, auf dem ich kaue. Wieviel Mühe hatte sie sich mit ihm gemacht. Von dieser Aufmerksamkeit kann ich nur… immerhin: die Devotion ist gratis.

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